Lieber Jeremias,
40 Tage sind es nun her, seitdem du Diese Welt verlassen hast. Es war der Samstag vor Pfingsten am 30. Mai. Niemals werde ich diesen Tag vergessen als ich zu dir gerufen wurde. Ganz ruhig und friedlich lagst du da auf deinem Sterbebett. Ich danke Gott, dass ich dich noch umarmen und küssen durfte. Ich danke Gott, dass ich dein Haupt mit meinen Tränen für dein Begräbnis waschen durfte.
Obwohl ich weiß, dass du jetzt in der Liebe badest, nach der du dich so sehr hier auf Erden gesehnt hast, ist mein Herz bis in den tiefsten Abgrund meiner Seele zerrissen. Noch kann ich es gar nicht fassen. Es will nicht eindringen, die Erkenntnis, dass Du nie wieder anrufen wirst. Nie wieder wird eine SMS von dir kommen. Nie wieder werden wir miteinander grillen oder Gitarre spielen. Nicht hier auf Erden.
Jedes Mal, wenn ich deinen dreijährigen Sohn, Vincent, sehe, kommen mir die Tränen. Genau an der Stelle, an der wir uns das letzte Mal am Vorabend Deines Hinscheidens umarmten und verabschiedeten, traf ich ihn das erste Mal nach deinem Tod. Seine ersten Worte waren: „Der Papi kommt nicht mehr“.
Ich will gar nicht aufhören zu weinen, denn ich weiß, die Tränen sind ein Geschenk Gottes, sie alle werden vom Heiligen Geist gesammelt, keine einzige fließt umsonst.
Ende Mai hast Du Dich trotz Corona und Grenzsperre über den Brenner von Schlanders nach Wien durchgeschlagen, um Deinen 93-jährigen, sterbenden Großvater noch zu besuchen. Gemeinsam waren wir bei ihm, haben ihn gepflegt und mit ihm gebetet. Dieses Gebet bleibt ewig in meinem Herzen: „Herr, Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner, eines Sünders“. Noch nie hatten wir dieses Gebet in auch nur irgendeiner Konstellation miteinander gesungen. Es war einmalig und einzigartig und bleibt unwiederholbar so. Dein Großvater, sein ältester Sohn, also ich, und mein ältester Sohn. Du. Drei Generationen.
Danach haben wir meinen sterbenden Vater gemeinsam hochgehoben und gewaschen und wieder ins Bett gelegt. Als wir aus dem Zimmer gingen, sagtest Du zu mir: „Papi, wenn Du so alt bist und nicht mehr kannst, werde ich mich auch so um dich kümmern“. – Was kann ein Sohn seinem Vater Schöneres sagen? Für mich gibt es keinen größeren Liebesbeweis. Am nächsten Tag, 4 Tage vor Deinem Tod, starb er.
Deine Krankheit, lieber Jeremias, hat viel getrübt. Wir waren oft ratlos und wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten. Bitte verzeihe uns! Unsäglich hast Du in Deinem Leben in Herz und Seele gelitten. Durch all das hindurch hast Du aber nie Deine Familie aus dem Blick verloren. Vater und Ehemann wolltest Du sein. Die Familie war Dein Ziel. Und Dein Ursprung.
Jetzt, wo Du nicht mehr unter uns weilst, erkenne ich immer mehr und mehr, was Du für ein wundervoller Mensch und Sohn warst und bist. „One of the real good ones“, wie es Deine Schwester auf ihren Blumenkranz schreiben ließ. Nun reihst Du Dich ein unter den ganz großen unserer Familie und bist ein leuchtendes Juwel in unserem himmlischen Schatz.
In einem wahrlichen Blumenmeer haben wir Dich zur letzten Ruhe gelegt. Dein Lied, „Free Bird“, haben wir gespielt, und alle waren da.
Unserem Herrn und Gott, Jesus Christus, danke ich für all die gemeinsamen Zeiten, die er uns gewährt hat. In Freude, und im Leiden. „Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen, der Name des Herrn sei gepriesen!“
Du hast geglaubt: an das Heil. Deine Hoffnung lag im Heil, und aus Deiner unermesslichen Heilssehnsucht heraus hast Du geliebt. Den guten Kampf hast Du gekämpft, den Lauf hast Du vollendet. Immer wieder erkenne ich: Der Sieg liegt nicht so sehr darin, den Kampf zu gewinnen, sondern vielmehr darin, ihn zu Ende zu kämpfen. Du warst bereit.
Nun entlasse ich Dich, geliebter Sohn, in Frieden. Mögen Deine Augen das Heil und das Licht des Herrn sehen. Ruhe mit den Seelen der entschlafenen Gerechten an Gottes Ort des Lichtes, der Wonne und des Friedens, wo weder Schmerz, noch Trauer, noch Klage sind.
Leb wohl, geliebter Jeremias!
Dein Papi